Zu Besuch im Land der Tausend Farben


Stressige Stille
28. Februar 2010, 06:37
Filed under: Babys erste Schritte, Studium und Praktikum

Wieder einmal stehe ich vor dem gleichen Problem, dem ich mich auch nach Studienbeginn in Nanjing stellen musste: Alltag. Und damit einem gewissen Mangel an Ereignissen, von denen ich im Blog berichten könnte. Hm.

Selbst am Hochladen eines simplen „Ich bin immer noch in Qingdao“ – Beweisfotos will mich das Wetter hindern. Ein Bild von grauem Himmel und Nebel vermittelt nicht gerade den positiven Eindruck, den ich gern von der Stadt hinterlassen würde, und den Versuch eines Fotos bei Nacht und klarer Luft vereitelt meine Digicam recht erfolgreich. Der Platz des Vierten Mai mit dem berühmten roten „Kreisel“ im Hintergrund wäre ein solches Foto wert gewesen, aber alles, was dabei herauskommt, ist das:

Mäh.

Dafür macht wenigstens das Praktikum auch nach 14 Tagen noch Spaß und ich habe nicht das Gefühl, nur dort zu sein, um Wind um die Ecke zu schaufeln, sondern bin beschäftigt. Letztens habe ich für diese zwei Februarwochen auch ein halbes Monatsgehalt bekommen. 500元 (bzw. 1000元 für einen vollen Monat) sind zwar, wie auch mein Chef oft sagt, wirklich nur ein Taschengeld, aber besser als überhaupt nichts. Und wer will bei 50 € Cash schon undankbar sein?



Schwarzroter Schnee und Schweineställe
18. Februar 2010, 11:06
Filed under: Babys erste Schritte, Home Sweet Home

Langsam nähert sich die Woche des chinesischen Frühlingsfests dem Ende und das merkt man nicht nur beim Ablesen des Kalenders, sondern auch an den merklich ruhigeren Straßen, in denen endlich nicht mehr zehnmal pro Stunde Feuerwerke und/oder Knallkörper gestartet werden, wie innerhalb der letzten 10 Tage. Kein Wunder, dass der Schnee immer noch schwarz von Ruß und rot von Konfetti ist.

Aber auch abgesehen vom Feuerwerk begann das neue chinesische Jahr für mich erfolgreich: Seit gestern wohne ich in meiner eigenen Wohnung! Was sich alles hinter diesem kurzen Satz verbirgt, folgt im heutigen Blogeintrag…

Dass ich 15 Minuten auf die Vermieterin warten musste, ist mit dem kulturell toleranten Blick auf die deutsche Über-Pünktlichkeit noch zu verschmerzen. Nicht so aber das, was mich nach Umdrehen des Schlüssels erwartet hat: Der gute Herr Vormieter war noch nicht ausgezogen. Ganz ehrlich, auf diesen Anblick war ich nicht vorbereitet und die Vermieterin auch nicht: Seine Sachen, von der Hose bis zum Zigarettenstummel, lagen überall in der Wohnung verteilt, leere Dosen stapelten sich neben der Tür, und die Staubpartikel waren gerade dabei, sich zu eigenen Staatsformen zu organisieren, um sich gegen die Invasion der Plastikreste zu wehren.

Wer mich kennt, der weiß, dass meine Ansprüche an die Sauberkeit meiner Wohngefilde noch nie in meinem Leben dem elterlich erwünschten Optimum entsprochen haben. (Sprich: Ich schalte oft und gern meine selektive Wahrnehmung ein, räume Bett und Computer frei und bin zufrieden.) Aber das war selbst für mich zu viel.

Der Vormieter a.k.a. Vorbesitzer des Schweinestalls? Keine Spur von ihm. Auch ans Telephon konnte ihn die Vermieterin nicht kriegen, aber nach diversen Anrufen konnte sie zumindest herausfinden, dass er „krank“ sei wegen des „Frühlingsfests“. Ja. Logisch. Er ist krank. Sicher.

Sie, ihr Mann und die Hausverwalterin haben letztendlich jeden Beutel, den sie finden konnten, hinzugezogen und alle Besitztümer, die nicht zur Wohnungsausstattung gehörten, hinausgekarrt, von der Bettwäsche bis hin zum Feuerzeug. Ich durfte brav auf der Couch sitzen und wollte mich mit einer Runde „Zeige mir deinen Müll und ich sage dir, wer du bist“ beschäftigen, doch das mögliche Ergebnis hat mich dann doch abgeschreckt. Neben einigen blassen Hemden und Zigarettenstummeln fanden sich auch ein halb leergegessener Topf mit verkrusteten Nudeln, eine noch verschlossene Flasche Spülmittel, ein blitzblanker Besen, eine Kreditkarte sowie eine Hello-Kitty-Wanduhr. Macht daraus, was ihr wollt.

Den Rest des gestrigen Tags konnte ich mit Putzen und Einkaufen verbringen. Ersteres ließ sich dank Hilfe der Vermieterin noch recht schnell erledigen, aber zum Supermarkt musste ich mehrfach laufen, um mich mit diversen „Einrichtungsgegenständen“ zu versorgen. (Topf, Teller, Schüsseln, Bettwäsche, Ess-Stäbchen, Mop,…) Zwar bin ich insgesamt sicher nicht mal drei Kilometer gelaufen, dafür sind mir nach jedem Meter beinah die Arme abgefallen (Ja ja, einfach nix gewohnt, das Mädel…) und gegen Abend konnte ich mich völlig fertig aufs Sofa fallen lassen. Überraschenderweise sogar mit Internetverbindung, obwohl mir diese ursprünglich erst für kommenden Sonntag versprochen wurde.

Wieder eine Bemerkung, die Leute, die mich kennen, nachvollziehen können: Gebt mir ein warmes Zimmer, einen Laptop und Internetanschluss – und ich bin glücklich. ^^

Zu guter Letzt möchte ich niemandem Fotos meiner neuen 56m² vorenthalten. Die Wohnung liegt im siebten Stock eines relativ neuen Gebäudes, leider nicht ganz zentrumsnah, aber innerhalb von 40 Minuten kann ich zur Arbeit laufen und statt 5 laufe ich nun eben 10-15 Minuten zur nächsten Nahrungsquelle abgesehen vom Supermarkt. Na und?

Wände sind sooo aus der Mode gekommen, nicht wahr?

Linkerhand befindet sich noch das Waschbecken sowie die Tür zum 1,5m²-Badezimmer/Dusche/Toilette.

Und das ganze noch einmal vom Fenster aus. Klein, warm und gemütlich. Und mit Waschmaschine, ein weiterer Fels auf dem Berg meiner Bequemlichkeit. ^^



Alles aussteigen bitte, Neustart an der nächsten Ecke links
14. Februar 2010, 09:27
Filed under: Babys erste Schritte, Studium und Praktikum

12 Stunden über Nacht in einem Bummelzug inmitten von Taschen, Koffern und Chinesen zu sitzen, ist keine Erfahrung, die man im Leben mal gemacht haben muss. Aber hey, kurz nach 6 Uhr morgens kam ich gestern vor einer Woche endlich am Bahnhof an, wurde abgeholt, zum Hostel gebracht, und hab mich ins Bett gelegt. Neben der Müdigkeit siegte auch das Glücksgefühl, mein gesamtes Gepäck aus Nanjing sicher in den Nordosten Chinas transportiert zu haben: Mein Koffer stieß schon fast an die Grenzen der Physik, noch bevor ich noch Jacken und Schuhe darin platzieren konnte. Irgendwie hat er es heil überstanden, auch wenn das durch Naturgesetze meiner Meinung nach nicht zu erklären ist.

Kurz nach 12 Uhr Mittags machte sich ein drohendes Leeregefühl in der Magengegend bemerkbar. Seltsam, anscheinend waren die sechs Oreo-Kekse und 100ml Wasser innerhalb der letzten 18 Stunden doch nicht ausreichend. Hm. Sowas.

Gleich am ersten Tag konnte ich mich mit Chr., Kommilitonin aus Zwickau, wohnt hier in einer Fastfamilie, treffen, um gemeinsam den Fernsehturm zu erklimmen, von dem wir trotz leichtem Nebel einen schönen Blick über alle Teile Qingdaos hatten, die im nächsten halben Jahr für uns relevant sein werden.

Was mich gleich zum nächsten Punkt bringt: Qingdao ist winzig. Ich dachte schon, Nanjing sei recht übersichtlich und (mit genügend Zeit) auch zu Fuß erlaufbar, aber im Vergleich dazu ist Qingdao eine noch kleinere Dimension von „süß“. Ich persönlich finde es großartig. (Diesmal selbst ohne Sarkasmus!) Obwohl ich am Nordende eines Stadtteils wohne, kann ich innerhalb von 30-40 Minuten zur Arbeit am Südende (fast am Meer) laufen. Andere Fortbewegungsmöglichkeiten sind zahlreiche Busse (Stadtplanlesen für Fortgeschrittene…) sowie Taxis (Startpreis 6-10元, in Nanjing waren es 9元). Metro gibt es nicht und nun, meine Damen und Herren, halten Sie sich fest: Fahrräder auch nicht. Zweiräder sind im Stadtzentrum verboten und als ich das gehört hab, hab ich endlich begriffen, warum mir die Stadt so ruhig vorkam: Keine Fahrradklingeln und keine mordlustigen Kamikazefahrer, die einen jeden Moment von hinten attackieren können. Yay!

Als brave Angestellte komm ich natürlich auch nicht drum herum, Werbung für meinen Vorgesetzten auf Zeit zu machen. In diesem Sinne: Seit Montag bin ich offiziell Mitarbeiterin Nummer 4 bei Ger-Lin Consulting. Also, wenn ihr euren Unternehmensstart in China plant, ihr hier Produkte ein- oder verkaufen wollt, wisst ihr, an wen ihr euch wenden sollt. Ja? Ja???

Praktikantentechnisch habe ich große Fußstapfen zu füllen, die meine Vorgänger hinterlassen haben, doch ich kann die kommenden Monate mit Arbeit verbringen, die mir Spaß macht: Am PC.

Springen wir zum aktuellen Stand: Noch immer wohne ich im Hostel, kann aber ein Viererzimmer mein Eigen nennen, da während des Frühlingsfests hier sonst niemand ist. Das gilt übrigens auch für die Mitarbeiter und Besitzer, sodass ich auch den Schlüssel zum Kettenschloss habe, das die Haustür verriegelt. Nun ja.

Das heißt nicht, dass ich diese Woche nicht schon anderweitig auf den Beinen war: Wieder einmal hab ich mich auf Wohnungssuche begeben, diesmal nur mit meinen eigenen Chinesischkenntnissen bewaffnet, und die haben es dem Mädchen aus der Makleragentur auch sicher nicht leicht gemacht. Die gute Nachricht ist, dass ich voraussichtlich am Mittwoch in meinen eigenen vier Wänden Einzug halten darf. Und das ist bitternötig – da war ich schon überglücklich, dem diesjährigen deutschen Winter entkommen zu sein, und was passiert in Qingdao? Es fängt an zu schneien. Selbst ohne Minusgrade war es im Hostelzimmer, dessen Klimaanlage nur Dekorationszwecken zu dienen scheint, schon eiskalt. Na ja, was dich nicht stark macht, bringt dich um… Oder sowas in der Art…

Und um diesen Eintrag gutgelaunt zu beenden: Frohes neues Jahr! Ich wünsche allen einen guten Start ins Jahr des Tigers!



Letzter Eintrag in diesem Jahrzehnt

Ausnahmsweise nicht aus den heimischen vier Wänden in Nanjing, sondern aus Shanghai, Wirtschaftsmetropole, stolzes Expo-Opfer 2010 und Baustelle sondergleichen.

Ob mir der Zug, in den ich heute Morgen um 7:30 Uhr eingestiegen bin, irgendwas damit sagen wollte, indem er 10:00 Uhr am Shanghaier Hauptbahnhof einfach mal mitten im Dreck gehalten hat? Bauarbeiten, wo immer man hinsieht, trotzdem werde ich Shanghai demnächst die zweite Chance geben, einen guten ersten Eindruck bei mir zu hinterlassen.

Dankbarerweise haben sie wenigstens die Metrolinie ausgeschildert, die ich nehmen musste. Nachdem ich mich gemeinsam mit ein paar hundert Chinesen durch Container, Steinhaufen und düstere Gänge graben musste, machte die Metrostation einen ähnlich chaotischen Eindruck. Da zeigt sich die gute Pflege in Nanjing: Shanghai hat einfach mehr Menschen – und dabei war es erst 10 Uhr Vormittags an einem Wochentag und 80 Prozent der Leute wahrscheinlich am Arbeitsplatz oder in der Schule.

An der Zielstation angekommen, konnte ich mich erfolgreich zu meiner nächsten Destination durchfragen. So, wer bis hierher mit dem Lesen durchgehalten hat, wird mit der Erkenntnis belohnt, weshalb ich überhaupt schon am Mittwoch, allein und auch noch zu einer so unchristlichen Zeit losgefahren bin: (Hier Trommelwirbel einfügen.) Ich habe ein Vorstellungsgespräch!

Klar, ist kein gesichertes Praktikum, aber allemal besser als sinnloses Rumsitzen und täglich verzweifelteres eMail-Checken. Also: Drückt mir die Daumen…

In drei Stunden geht’s los. Bis es soweit ist, sitze ich in diesem Café, das mir schon auf dem Hinweg aufgefallen ist. Es heißt „Central Park“ (Schreibt sich im Netzwerknamen zwar „Central Pack“, aber ich will mal nicht so sein.), der Name war westlich genug, um in mir die Hoffnung auf einen guten Kaffee zu wecken und ich wurde nicht mal enttäuscht. Kostet mit 20元 sogar nur doppelt so viel wie in der Caféteria der NanDa. Viel erstaunlicher ist noch die Tatsache, dass es hier eine westliche Toilette gibt. Und ja, diese atemberaubende Nachricht abzutippen, war mir vier Sekunden meiner Lebenszeit wert!

Das war’s erst mal von meiner Seite aus, wir sprechen uns wieder im neuen Jahr.

Es folgt das vorhersehbarste Ende, das sich dieser Blogeintrag hätte wünschen können: Guten Rutsch euch allen!



Das war eine Woche…
11. September 2009, 12:08
Filed under: Babys erste Schritte, Studium und Praktikum

… daraus könntest du zwei machen. Und dabei waren es eigentlich nur vier Tage, was beweist, dass ich Adrenalin einfach nicht (mehr) gewohnt bin.

Machen wir es kurz, der Einstufungstest am Dienstagabend war eine Katastrophe mit Sahne und Kirsche obendrauf. Neben einem selbst zu schreibenden Text zum Thema „Mein Chinesischstudium“, der nur 10% der Gesamtwertung ausmachte und in den ich jede Grammatik eingebaut habe, die mir in den Sinn gekommen ist, bestanden die restlichen 90% des Tests aus Lückentexten. Für jede Lücke gab es vier Antwortmöglichkeiten.

Ganz ehrlich: Ich hätte die Kreuze auch mit geschlossenen Augen setzen können, denn ich habe nichts verstanden, keinen einzigen Satz. Und wenn ich einen Satz mal zu vielleicht 30% verstanden habe, konnte ich mit den Antworten nichts anfangen. Schlussfolgerung: Totalversagen. Mein Gesicht:

Mittwochnachmittag. Wir schauen uns an, in welche Kurse wir eingeordnet wurden. Es gibt insgesamt vier Stufen, von denen A die höchste und D die niedrigste ist. Innerhalb der Stufen gibt es noch mal zwei bis drei verschiedene Klassen, die sich aber nur gering voneinander unterscheiden. Hm, ja. Ich wurde in A eingeordnet. Meine Gedanken:

Eine andere Studentin meinte zu mir, ich sollte Lotto spielen.

Natürlich war von Anfang an klar, dass daraus nichts werden konnte. Auf Empfehlung des Hochschulmitarbeiters bei der Einführungsveranstaltung habe ich mich dann Donnerstagmorgen doch erst mal in den A-Kurs gesetzt, um so dazusitzen:

Das Ende vom Lied ist, dass ich gestern in vier verschiedenen Klassen gesessen habe, um am Ende tatsächlich die zu finden, die meiner Meinung nach richtig gut passt. Effektiv wären sowohl ein hoher C- als auch ein niedriger B-Kurs denkbar, heute habe ich mich entschieden und mich offiziell in B eintragen lassen.

Ist natürlich schwerer und ich habe mehr Vokabeldefizite, aber ich kann mich richtig reinknien und mache es mir damit weder zu einfach noch zu schwer. Also heißt es jetzt: 加油!(„Jiayou!“ ist ein Ruf zum Anfeuern und Mutmachen. ^^) Drückt mir die Daumen.

P.S.: Nächste Woche gibt’s dann Bilder vom Campus und ich schreib ein bisschen über den Unterricht. Jetzt ist erst mal Wochenende!



Eingeschrieben!
7. September 2009, 11:14
Filed under: Babys erste Schritte, Studium und Praktikum

Endlich geht es los, endlich haben wir wieder ein festes Ziel vor Augen, endlich ist der Tag gekommen, an dem wir uns an der Nanjing Daxue (南京大学, Nanjing University, kurz: NanDa) einschreiben konnten! Und bürokratisch betrachtet, könnte es für uns wirklich nicht einfacher sein.

Wir mussten nicht einmal unser Gesundheitszeugnis vorzeigen, demnach müssen wir es auch nicht vom örtlichen Quarantänebüro bestätigen und keine zusätzlichen Bluttests machen lassen. Anscheinend bleibt uns auch ein weiterer Besuch beim Gonganju erspart. Unser F-Visum bis 23. Februar reicht für das Studium aus, unseren Wohnsitz haben wir hier auch gemeldet, die Uni hat den rosafarbenen Wisch mit dem roten Stempel gesehen, fertig. Hoffe ich. Also dass es so glatt läuft, hat mich überrascht. Ich rechne immer noch mit einem Schlag ins Gesicht, aber vielleicht ist das nur Paranoia. ^^

Hier noch kurz und schmerzlos meine Eckpunkte der nächsten Tage:

  • Montag: Einschreibung *abgehakt*
  • Dienstag: Einstufungstest *aufgeregt rumrenn*
  • Mittwoch: Ergebnisse des Einstufungstests, Studentenausweis und Stundenplan abholen, allgemeine Infos *noch mehr rumrenn*
  • Donnerstag: Unterrichtsbeginn *umfall*


Durch die westliche Brille: Zwischenfazit nach der ersten Woche in China
2. September 2009, 12:27
Filed under: Babys erste Schritte, China-Impressionen

Eine Woche in China ist vorbei, bzw. eine Woche in Nanjing, da man die Stadt wohl nicht konkret mit Beijing oder Shanghai vergleichen kann. Zeit für ein kleines Zwischenfazit.

Viele Hochhäuser, viele Menschen, viel los, aber es ist auch nicht so unglaublich hektisch oder so unglaublich riesig, dass ich davon überwältigt wäre. Theoretisch könnte es auch Berlin sein. Gut, bis auf die Chinesen, die überall herumlaufen. Und die zahllosen Fahrräder, die an manchen Kreuzungen wie eine Horde Zebras an einem vorbeifahren. Auf den großen Straßen gibt es zwischen Autospur und Fußweg eine Extraspur für Zweiräder.

An den Verkehr konnte ich mich verhältnismäßig schnell gewöhnen. Belastet von Stereotypen konnte ich überrascht feststellen, dass Ampeln hier doch eine Bedeutung haben und in dieser durchaus ernst genommen werden. Wer weiß, vielleicht liegt es daran, dass Nanjing (7 Millionen Einwohner) eine kleine Stadt ist? Sobald ich in Shanghai war, werde ich mehr wissen.

Fakt ist jedenfalls, dass an den Ampeln erst dann gefahren bzw. gegangen wird, wenn tatsächlich grün ist, wobei es dann immer noch rechtsabbiegende Autos gibt, die mit Hupen ihr Vorrecht auf dem Asphalt deutlich machen wollen. Überhaupt ist Hupen und Klingeln hier der Ersatz fürs Bremsen. An großen Kreuzungen, an denen der Verkehr einfach flüssig bleiben muss, seh ich das sogar ein, aber selbst auf meterbreiten Wegen oder an kleinen Abzweigungen wird einfach standardmäßig gehupt, wenn irgendwas im Winkel von 180° im Weg ist.
In den Blogs unserer Shanghairen habe ich gelesen, dass es dort 45 Minuten dauern kann, bis man ein leeres Taxi findet, diese Erfahrung haben wir bisher nur abends bei Regen gemacht. Mit 1 bis 3 Euro pro Fahrt scheinen die Taxis ein Schnäppchen zu sein, erst recht wenn man nicht allein fährt. Aber wenn man dann bedenkt, dass ein Busticket – egal von wo, bis zur Endstation – nur 10 oder 20 Cent kostet und die Metro auch nur 10 Cent pro Station, wird man schon wieder geizig…

Generell sind die Lebenshaltungskosten ein Traum für den westlichen Geldbeutel. In Straßenimbissen sowieso, aber selbst in Restaurants kann man für einen Euro eine vollwertige Mahlzeit bekommen. Für die Dinge des täglichen Bedarfs gibt es sowohl kleinere 24-Stunden-Shops als auch mehrstöckige Supermärkte, in denen man übersichtlich gepackt früher oder später alles findet, was man sowohl in Ostasien als auch in Europa für den Haushalt braucht. Übrigens auch Milch und Joghurt, bloß Brot gibt es lediglich in süß. Die Preise müssen wir noch vergleichen, nach einer Woche in Nanjing und zwei Tagen in der eigenen Wohnung ist es unmöglich festzumachen, mit welchem wöchent- oder monatlichen Budget man auskommt.

Allerdings muss man sagen, dass die Stadt hier – und mutmaßlich gilt dies auch für alles andere an der Ostküste – ein Konsumparadies ist. Der perfekte Ort für Kaufsüchtige, Kauffreudige, Frustkäufer oder überhaupt für jeden, der irgendwie Klamotten braucht. In Markenläden und in großen Einkaufszentren kann man leider nicht handeln, zahlt also praktisch nicht wirklich weniger als auch in Deutschland. In den kleinen Boutiquen etc. ist Handeln allerdings einwandfrei möglich. Wie viel man ausgeben möchte, muss dann jeder für sich entscheiden, aber man zahlt fast immer weniger als zu Hause. So oder so: Die Konsumgesellschaft ist allgegenwärtig, man kann fast überall einkaufen, es ist unglaublich.

Und plötzlich schaut man von einer modernen Einkaufsstraße mit Hochhäusern wohin das Auge reicht einmal zur Seite in eine kleine Gasse hinein und sieht… das exakte Gegenteil. Diese Gegensätze findet man unglaublich häufig. Bei unserer Wohnungssuche ist uns trotzdem aufgefallen, dass viele Gebäudekomplexe zwar von außen ziemlich heruntergekommen aussehen, innen aber oft richtig ansehnliche Wohnungen liegen, die man nie erwartet hätte. Außen pfui, innen hui, sozusagen.

Mit dem Wetter haben wir am ersten bis dritten Tag vielleicht gleich ein Extremum erwischt, denn seither sind die Temperaturen voll und ganz erträglich. Dass es am vierten und fünften Tag geschüttet hat wie aus Kübeln, verzeih ich dem Wettergott auch noch, denn selbst bei Regen konnte man zur August-Mittagszeit auch im Rock das Haus verlassen, ohne zu frieren. Mal sehen, wann ich mir warme Sachen kaufen muss, davon befand sich nämlich nur ein Stück in meinem 20-Kilo-Koffer.

Ja, und dann sind da ja immer noch die Chinesen. Kritische Kulturvorfälle hatten wir unserer Meinung nach noch keine. Allerdings wurde uns während der Formalitäten um den Mietvertrag mal etwas zu trinken angeboten und weil wir gelernt hatten, dass sofortiges Ja-Sagen in China unhöflich ist, haben wir erst mal abgelehnt. Wir sind durstig geblieben.
Dass man hier als westlicher Ausländer angestarrt wird, ist mir bisher nur bedingt aufgefallen. Nanjing ist zwar an sich eine kleinere Stadt als Beijing und Shanghai, aber eventuell ist man in der Umgebung der Universität trotzdem daran gewöhnt. In der „Innenstadt“, beispielsweise in den Einkaufsstraßen rund um den Konfuziustempel, ist mir das erste Mal aufgefallen, wie auf der Straße wirklich rechts und links mehrere Leute zur Seite geschaut und uns gemustert haben. Bisher war es allerdings nicht störend und gut ignorierbar. Zweimal sind kleine Kinder stehen geblieben und haben uns ganz fasziniert angeschaut, das war dann schon wieder niedlich.

Es ist auch nicht zu leugnen, dass auf der Straße viele Leute höflich zu Ausländern sind. Wie viele Privilegien und geebnete Wege uns hier tatsächlich begegnen, werden wir noch merken, aber wen immer wir nach dem Weg gefragt haben, er antwortete uns, manchmal halfen sogar noch Passanten aus der näheren Umgebung oder sie antworteten uns gleich auf Englisch. Ich würde gern versuchen, keine einfach gelöste Situation für selbstverständlich zu halten, aber ich kann mir vorstellen, dass es ganz schön schwer wird, das überhaupt zu bemerken.

Nun, und jetzt? Ich sitze allein in unserer Wohnung, entspanne meine Füße von der letzten Woche und trinke Naicha (奶茶, Milchtee), ein kaltes, süßes, milchiges, kaffeefarbenes Getränk, verpackt in einer Plastikflasche. Die anderen beiden Mädels sind Shoppen, die Jungs wollen einen Router kaufen, um uns hier endlich Internet zu verschaffen. Bisher nutzen wir die ungesicherten WLAN-Netze unserer Nachbarn und abgesehen davon, dass die ganze Geschichte nicht wirklich koscher ist und wir eine eigene Verbindung zum Web haben wollen, sind diese Netze nur selten vorhanden und noch seltener wirklich stabil. Wer weiß, wann dieser Text hier seinen Weg in den Blog finden wird?



Das magische W-Wort
30. August 2009, 12:12
Filed under: Babys erste Schritte, Home Sweet Home

Tag 3 und 4. Jetzt zu Beginn gibt es wirklich jeden Tag was zu erzählen und das spür ich auch – vor allem in meinen Füßen… Aber auch sonst ist es gruslig, ich überlege täglich mehrmals, ob ich wirklich erst so kurz in China bin, ob dieses oder jenes gestern oder heute passiert ist…

Der Freitag lässt sich mit einem Wort prägnant zusammenfassen: Laufen! Den ganzen Tag lang, von 9:15 Uhr morgens bis 21:15 Uhr Abends waren wir praktisch nur unterwegs. Die ganzen grausamen und erfreulichen Details der Entstehung meiner Blasen will ich der Welt ersparen. Fakt ist: Wir sind mehreren Zu-Vermieten-Schildern gefolgt, waren bei einer weiteren Agentur und haben uns schließlich noch mal mit dem Mann aus der allerersten Wohnungsvermittlung getroffen. Und nachdem wir noch mal 30 Minuten bei drückender Hitze am Spätnachmittag durch die Straßen und Gassen Nanjings wandern durften, eröffnete sich uns hinter drögen Fassaden… der in vier Wände gebaute Traum! Das gute Stück hat ein großes Wohnzimmer, zwei Bäder, eine Küche und vier Zimmer bzw. fünf, wenn man in ein Arbeitszimmer noch eine Matratze legt. Nicht nur das: Die Familie, die noch dort wohnt, zieht aus und lässt so gut wie alle Möbel dort. Das ist fast zu genial, um wahr zu sein. Erst recht, wenn man die Miete bedenkt: 6000元 (600 €) pro Monat kalt, d.h. 120 € pro Person plus Nebenkosten, die wohl etwa 10 € pro Person pro Monat betragen werden.
Schlüssel zum Glück war in jedem Falle ein Student aus Bonn, welcher gestern angekommen ist und mit dem K. und C. schon Kontakt hatten. Seine Chinesischkenntnisse sind besser als unsere vier zusammengenommen. Ohne ihn hätten wir nicht in zehn Millionen Jahren irgendwie mit dem Makler kommunizieren, den Vertrag lesen und alle Formalitäten abwickeln können.

Der Samstag begann mit der Suche nach einer geöffneten Bank, was uns die Bank of Nanjing schon mal nicht bieten konnte. Die meisten anderen Banken, die glücklicherweise alle nebeneinander lagen, hatten zwar 24-Stunden-Geldautomaten, akzeptierten aber weder Visa noch Mastercard. Wenigstens die Bank of China erfüllt uns diesen Wunsch – allerdings streikten dann irgendwann die Automaten und meinten, unser tägliches (?) Kreditkartenlimit sei erreicht. Das sah zum Glück auch der Makler ein und gab sich mit einer kleineren Anzahlung sowie seiner Kommission (300 €) zufrieden. Der Rest wird am Dienstag bezahlt, wenn wir dann (hoffentlich…) einziehen!



Wir brauchen eine Wohnung
27. August 2009, 17:18
Filed under: Babys erste Schritte, Home Sweet Home

Diesmal mit dem Versuch, mich kürzer zu fassen.
Tag 2. Faktisch gesehen, war dieser Tag beunruhigender als der vorherige. Zum Glück habe ich mich inzwischen wieder beruhigt und sehe dem Chaos gefasst, wenn auch mit beschissener Laune, entgegen.

Nach dem benötigten Ausschlafen kauften wir uns an einem Straßenimbiss für 6元 (etwa 60 Cent) unsere Mischung aus Frühstück und Mittagessen gekauft, die aus einer frei wählbaren Mischung aus Bambussprossen, Tofu, Glasnudeln, Gurken, Paprika, Fleisch, Fisch usw. bestand, jeweils vor Ort zubereitet. Schmeckte nicht schlecht, war nur ölig. Der Vernunft halber aß ich die Schüssel Reis, die dazugereicht wurde, und war dann wenigstens satt. Auch an dieser Stelle wurde wieder klar: Wir brauchen eine Wohnung. Und wenn es nur um die Aufbewahrung regelmäßiger, normaler Malzeiten ging.

Danach trennten sich unsere Wege kurz, O. und ich machten uns auf den Weg zur Nanjing University, an der wir am Vortrag schon zufällig vorbeigekommen waren. Wir fragten uns bis zum Waiban durch und trafen dort eine nette englischsprechende Mitarbeiterin, die einen Anruf für uns tätigte und in Erfahrung brachte, dass in diesem Jahr eine neue Person für die Auslandsstudenten zuständig ist, ein gewisser Herr Zhu. Samt Gebäudename schickte sie uns dann los zu einem Haus außerhalb des Campus.
Ich kürze an dieser Stelle mal ab: Herr Zhu kommt erst am 05. September wieder – Einschreibung für uns ist sowieso am 07. – und im Wohnheim gibt es keine Plätze mehr. Ja, das fasst es ganz gut zusammen. Und wieder der Schluss der Schlüsse: Wir brauchen eine Wohnung.

Der restliche Nachmittag lässt sich leicht zusammenfassen: Wir folgten Schildern an Häusern, die auf Vermietung hindeuteten, wurden sofort mit einem netten 没有 („Gibt’s nicht.“) empfangen, gingen wahllos auf Hochhäuser zu, um uns von den Wachleuten abweisen zu lassen, von denen einer uns aber dann mit Händen und Füßen zu einer Art Wohnungsagentur lenkte. Der nicht-englischsprechende Makler tat sein Möglichstes, unsere Bedürfnisse (eine 2-Personen und eine 3-Personen-Wohnung, möbliert, Nähe Campus) herauszufinden, telefonierte, fuhr mit dem Fahrrad herum und führte uns schließlich zu einer Wohnung, die leider zu wenig Betten hatte und die man mit einem Spezialteam hätte desinfizieren müssen. Morgen will er uns noch eine zeigen. Da sind wir garantiert den ganzen Tag unterwegs.

Und das Schlusswort des Tages: Wir brauchen eine Wohnung.



„Objektivität“ am ersten Tag? Never.
27. August 2009, 17:06
Filed under: Babys erste Schritte

Nun denn… Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich über den ersten Tag praktisch einen Tag später berichte, denn so sieht das ganze gar nicht mehr so wild aus. Jedenfalls bin ich kleines Baby jetzt weniger verzweifelt als gestern. Und weniger frustriert. Na ja, frustriert schon, aber nicht mehr so stark

Über den Flug gibt es nicht viel zu berichten. Etwa gegen 2 Uhr entschlossen sich anscheinend 50% der Chinesen um mich herum, plötzlich wach sein zu müssen. Haben sich unterhalten oder Filme angeschaut. So kam ich also etwa über der Mongolei zu dem Entschluss, die Nacht schlaflos zu verbringen. Pünktlich um 11 Uhr Ortszeit (Deutschland: 5 Uhr) gelandet, etwas Geld abgehoben, mit einem Chinesen unterhalten (wir fragten Chinesisch, er antwortete Englisch), der zwei Kommilitoninnen abholen und zu ihren Gastfamilien bringen sollte, uns von ihm den einfachsten Weg in die Stadt beschreiben lassen.

Raus aus dem Flughafen. Die Luft hier tagsüber ist in etwa vergleichbar mit einem Hallenbad. Nur etwas wärmer, ohne Chlorgeruch und ohne halbnackte Menschen.
Mit dem Flughafenbus waren wir nach etwa 45 Minuten in der Stadt. Taxis mussten wir ab dort zwei nehmen, da sie zu klein für vier Personen samt Gepäck waren. Übrigens auch für zwei Personen samt Gepäck, sodass der Kofferraum offen gelassen werden musste. Mulmiges Gefühl, aber alles ist gut am Hostel angekommen.
Über das Hostel kann ich mich nicht beklagen. Englisch wird gesprochen und alles ist soweit sauber – Zimmer, Duschen, Lobby. Etwas anders sieht es mit dem Zimmer aus: 9m², Doppelbett, Schreibtisch, Stuhl, kein Schrank, kein Fenster. Es war sehr schnell klar: Lange und oft bleiben wir hier nicht.

Trotz Hitze und Erschöpfung war an Schlafen nicht zu denken: Laptop greifen, ab in die Lobby. Zugegeben, die ersten Startschwierigkeiten der Internetverbindungen waren auf falsche Browsereinstellungen zurückzuführen und damit meine Schuld. Die zweiten Schwierigkeiten waren und sind allerdings ein haus-(bzw. land…)gemachtes Problem: Gewisse Internetseiten, allen voran WordPress, lassen sich nicht aufrufen. Wer mich halbwegs kennt, der weiß, dass sich mein Gemütszustand proportional zur Aktivität meines Computers und meiner Internetverbindung bewegt. Erbärmlich, ich weiß. Entsprechend hoch war meine Laune zu diesem Zeitpunkt jedenfalls.
Dass ich heute diesen Eintrag schreibe, zeigt, dass ich das Problem „umgehen“ konnte. Fragt nicht.

Gegen 16 Uhr haben wir uns zwecks Wohnung auf den Weg zu einem Haus gemacht, nach vielen Umwegen und Kartendrehen konnten wir es finden. Das Zimmer kam nicht in Frage, da das Haus in erster Linie ein Hotel war. Ach ja, und es war zu klein und zu teuer.
Inzwischen war es kurz vor 17:45 Uhr, wir hatten auf dem Weg einen Handyladen gesehen und wollten uns noch SIM-Karten kaufen. Klingt einfach, ist es aber nur, wenn man Chinesisch kann. Was auf uns kaum zutrifft. Mit Hilfe des gebrochenen Englischs einer Angestellten gaben wir unsere Passnummern an einem Terminal ein und wählten eine Telefonnummer. Ein chinesischsprechender Amerikaner, der zufällig im Laden war, konnte uns nach langem Hin und Her wenigstens versichern, dass es sich tatsächlich um eine Art Prepaid-Karte handelte und nicht um einen Vertrag, obwohl wir mehrmals an diversen Stellen unterschreiben mussten. Das Erledigen der ganzen Formalitäten dauerte Ewigkeiten, eine von uns konnte nicht ins Ausland telefonieren, dann passte ein Vertrag nicht, ich habe meine Karte noch nicht mal ausprobiert, weil mir einfach die Lust vergangen ist.

Etwa 19 Uhr haben wir den Laden wieder verlassen, uns am Straßenrand Baozi gekauft und sind zum Hostel zurückgelaufen. Ich war fertig. In jeder Hinsicht. Wir fassen zusammen: Ich hatte über 24 Stunden nicht geschlafen, die Hitze war ungewohnt, mein Blog war augenscheinlich nutzlos da nicht aufrufbar, wir waren durch die Stadt gelaufen, ohne irgendetwas zu erreichen, waren an keinem für die nächsten Tage relevanten Ort, hatten Handykarten, die mit etwas Glück wenigstens im Inland funktionieren, die Baozi trieften vor Öl und der Gedanke an zu Hause, an meine Familie und dass dort in diesem exakten Zeitpunkt viel einfacher wäre, hat mich wahnsinnig gemacht. Objektiv betrachtet: Nichts passiert, alles halb so wild. Ich sollte erwachsen werden. Schnell. Am besten sofort. Am besten gestern. Nein, eigentlich wäre Dienstag ein guter Tag gewesen.